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Mindpacifique

Einige Jahre später

von | Mai 29, 2007 | Geschichten | 0 Kommentare

Tom! Tom Rough!? Hier, in Köln? Mensch, wie lange ist das her? Zehn, fünfzehn Jahre? Auf meiner Abi-Abschlußparty 1995, in Violas Auto. Zwölf Jahre. Alt ist er geworden. Er hat drei Jahre vor mir sein Abitur gemacht, danach haben wir uns immer mal auf Partys in der Umgebung getroffen. Er war so cool. Er hatte damals Kunst studiert. Ob er mich wieder erkennt? Aber ich muss ihn begrüßen sobald er fertig mit dem Telefonat ist. Die Freitag- Umhängetasche hatte er schon damals, scheint ziemlich voll zu sein, die Tür von der Telefonzelle schließt nicht ganz. Um nicht zuzuhören, müsste ich mich ans Ende der Straße stellen. „…ja, jeden Tag über

30 Grad … strahlend blau von morgens bis abends … „ Aha, Tom erzählt von seinem letzten Urlaub, sieht gar nicht danach aus. „ … jede Menge Palmen, sogar hier vor der Zelle, Dattelpalmen, nehme ich an … „ Hm, ich sehe keine Palmen, der angepinkelte Möchtegern-Strauch kann eindeutig keine Palme sein. „ … Hab ich dir doch geschrieben … Wie, nicht angekommen? … Ach so …“ Ach so, genau, ich erinnere mich. Tom Rough hat es früher schon nicht so genau genommen mit der Wahrheit. Welche Schnecke hat er denn jetzt schon wieder versetzt? Der hatte doch immer mindestens drei Freundinnen zeitgleich, war ja auch ein hübscher Kerl. Er hatte immer so etwas von einem Künstler gehabt. Graublaue Augen, verstrubbelte blonde Haare und ein irgendwie entrückter Blick. Den Mädchen hat er immer wunderschöne Liebesbriefe geschrieben, mit wunderschönen Zeichnungen versehen. Und er hatte lange und feingliedrige Hände, wie ein Klavierspieler, aber die waren immer mit Farbe beschmiert. Wenn er nicht gemalt oder geschrieben hat, dann hat er mit einer Hingabe Zigaretten selbst gedreht, dass man unbedingt rauchen wollte, nur um eine solche Zigarette zu bekommen. Manchmal saßen

wir nachmittags nach der Schule im Park, Ossi hat auf der Gitarre rumgezupft, die anderen haben ein bisschen gesungen oder einfach noch gequatscht. Damals hatten wir ein Hair- Musical Revial. Love-Peace-Happiness. Obwohl Tom nicht mehr zur Schule ging, gesellte er sich öfter zu uns und zeichnete seinen Block voll. Er saß anfangs immer etwas abseits, aber im Laufe des nachmittags wurde er der Mittelpunkt, alle rutschten zu ihm. „ … traumhafte Bootsfahrt bei Vollmond … Nein, es ist nicht so, wie du denkst …“ Es ist wohl genauso, wie sie denkt. Wie damals, auf der einen Party in der Mühle. Da wurde er von einem eifersüchtigen Typ dermaßen zusammengeschlagen, das er nachher im Krankenhaus lag. Über eine Woche. Dabei wusste jeder in unserer Heimat-Kleinstadt das genau die Tusse mit dem dicken Wenzel zusammen war. Und wo der hinschlug, na ja, danach wusste wenigstens auch Tom bescheid. Eine der Krankenschwestern erzählte mir damals, was der Tom für ein toller Mann sei. Nicht jeder hätte sich in einer solchen Situation so heldenhaft verhalten. Ich schaute sie fragend an. Na, erklärte sie mir Dummerchen, der kleine türkische Junge, der von drei Skins angegriffen wurde. Ich nickte ihr zu, verkniff mir ein Grinsen und besuchte Tom kopfschüttelnd. Nach diesem Vorfall haben wir ihn länger nicht mehr gesehen. Später haben wir ihn ein paar Mal in Köln besucht und sind zusammen auf die Pirsch gegangen. Man war ja froh, wenn man in Köln übernachten konnte und nicht um ein Uhr morgens, gerade wenn es am schönsten war, mit dem Zug nach Hause musste. Oder bis fünf Uhr warten, dann fuhr der erste Zug. Dann sind wir regelmäßig auf dem Bahnsteig eingeschlafen. Was für eine wilde Zeit. Aber auf Dauer hat es mit Tom keinen Spaß gemacht, es gab immer Stress und war anstrengend. Irgendwelche Mädchengeschichten. Und dann kam der Abend meiner Abiparty. Party, Party, Party. Ich war so glücklich. Für mich war das nicht ganz so einfach. Gewesen. Ich hatte Tom auch eingeladen. Tom kam auch und war total fertig. Eine seiner Schnecken ist ihm wohl auf die Schliche gekommen, das sie nicht die einzige Frau an seiner Seite war und hat ihn abserviert. Und natürlich war sie seine Traumfrau. Seine

einzige große Liebe. Natürlich habe ich ihn getröstet. War doch klar. Aber ich war auf der anderen Seite so glücklich über mein Abitur. Ich hatte eindeutig zuviel getrunken, sonst nicht meine Art, aber an dem Abend, ich weiß auch nicht. Vielleicht wegen der blöden Stimmung von Tom. Auf jeden Fall sind wir irgendwann in Violas Auto gelandet, danach kann ich mich nur noch daran erinnern, wie Viola gegen das Fenster gehämmert hat und uns aus ihrem Auto warf. Auf jeden Fall war ich danach wieder nüchtern. Mir war schlecht und ich war stocksauer auf Tom. Ich habe ihn angebrüllt, weil er die Situation so schamlos ausgenutzt hatte und ich das Gefühl hatte, einen Freund für immer verloren zu haben. Dann habe ich ihn stehen gelassen und bin wutschnaubend nach Hause gegangen. Danach habe ich ihn nicht mehr gesehen. Bis heute. „Ein Mal im Jahr muss das sein … Ich muss Schluss machen, es steht jemand vor der Zelle … Ich dich auch … Tschüß!“ Ich weiche automatisch ein paar Schritte zurück, da die Tür sich nach außen zusammenklappt. Tom schaut instinktiv noch mal in das Kleingeldsammelbecken und wuchtet seine schwere Tasche durch die schmale Türöffnung. Ich wende mich im Affekt von ihm ab, murmele ein Dankeschön, da er mir die Tür aufhält und steige in die Telefonzelle.