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Mindpacifique

Kölsche Diskretion

von | Mrz 29, 2007 | Geschichten | 0 Kommentare

Hannelörchen Berrisch zieht verträumt an ihrer Indian Spirit und stößt den Rauch genussvoll wieder aus. Kleine, stinkende Schwaden. Marta, die ihr gegenüber sitzt, zieht nicht weniger genussvoll an ihrer West light. Dabei schiebt sie die Unterlippe vor und stößt den Qualm in einer steilen Wand an ihrer Nase vorbei nach oben. Neugierig schaut die junge Mutter auf die ältere Frau vor sich. „Erzähl mal, Lörchen, wie war euer Urlaub.“ Die polnische Herkunft erkennt man nur schwach, an wenigen und seltenen Wörtern und, in Momenten wie diesen, wenn Marta abgelenkt ist.

„Nä, wat wor dat widder schön. Venedisch. Im Januar. Herrlisch.“ Damit war es für Marta wieder klar, ein einseitiges Vergnügen, op kölsch, das versteht sie nie. Nie und nimmer. Aber weiter, sie hat es ja angestachelt. „Und wie war das Wetter? War es nicht zu kalt und nass?“ – „Nä, Leevje, nur Sonnesching. Dat Sönnche wor am brenne. Do musste dich jot enklätsche, söns verbrenns de. Ävver du darfst net rauche. Nirgendwo! Sonne dress! Mir sin dann immer drusse rauche jejangen. Ävver, dat Panorama! Herrlisch!”

Hektisch schaut sich Lörchen im Brauhaus um. „Köbes!“ Ohrenbetäubend und peinlich, aber eigentlich nur für ortsfremde, also für Marta. „ Köbes! Dun m´r noch zwei Bier un zwei Himmel un Äd, un flöck!“ Marta wusste nicht, was Himmel und Äd und flöck sein sollte- ist vielleicht auch besser. „Und was habt ihr noch so gemacht in der Stadt der Liebe, an einem langen Wochenende nach wie vielen Jahren Ehe? Wie lange seid ihr jetzt verheiratet?“

„Nüngzehn Jahre. Et hät noch immer got gegange. Ah, ät Kölsch, lecker. Prostata!“ Hannelörchen und Marta stoßen an, Lörchen wie immer sehr guter Dinge und Marta ist wie immer leicht abwesend und mit den Gedanken irgendwo, aber nicht

bei der Sache. Lörchen ist das egal, sie „verzällt“ lieber, egal ob jemand zuhört. „Dat Essen! Jetz stell dich doch nit esu aan. Dat is lecker.“ Marta starrt mit riesigen Augen auf den Teller, den der Köbes vor sie hinstellt. Blutwurst. „Ich hasse Blutwurst, Lörchen, davon muss ich mich übergeben. Der Kartoffelpürree geht ja noch, aber Blutwurst.“ Sie schluckt mehrmals. Lörchen sieht das ganze sportlich. „Ach, Leevje, probieren geht über studieren. Der Hannes müjjt dat och net. Dat verston ich net.“

Lörchen lacht herzlich mit vollem Mund. Hannes ist ein echter Handwerker der alten kölschen Schule, immer korrekt, lässt allerdings auch mal fünf gerade sein. Darüber ärgert sich dann entsprechend Sergej, wenn wieder in seinem Club irgendwas auf Grund der sehr geraden Fünf nicht funktioniert. Und Marta hat den Stress dann wieder zu Hause. Sie schaut verlegen auf ihren Teller, schluckt schwer und schiebt sich den nächsten Happen Kartoffelpürree hinterher, möglichst weit von der Blutwurst entfernt. Auf einmal bermerkt sie, das etwas anders ist. Lörchen ist ganz ruhig geworden. Keine schmatzenden und schnaufenden Schaufeleien. Verwirrt schaut Marta von ihrem Teller auf und trifft Lörchens ernsten Blick.

„Marta, der Hannes ist eene Fremdjonner. Wat wesse darüber?“

Marta sitzt vor ihr, wie vor den Kopf geschlagen. Die verdammte direkte kölsche Art. Eigentlich weiß sie alles, von jeder und sie ahnt noch mehr. Augenblicklich ist es eine rothaarige, dralle Erzieherin aus Düsseldorf.

„Marta, der Hannes mät mich langsam raderdoll. Der schmust in der Bastei mit nem Radiesje und die Annemie vom Markt verzällt mir dat dann. Der Hannes wess von nix, der Luuschhöhnche. UNSCHULDIG!“ Geschliffenes Hochdeutsch. „Häs du schon von Erika gehoot?“ Die Düsseldorferin. Marta greift zu den Zigaretten, eindeutig um Zeit zu gewinnen und schüttelt dabei langsam den Kopf hin und her. „Dat hät vörige

Woch den Hannes aangemaht.“ Marta schaut entsetzt zu Lörchen. Das ist eindeutig schon ein halbes Jahr her, immerhin war sie selbst dabei. In der kleinen Kneipe, wo sie zusammen

mit Sergej und Hannes Freitag nach der Arbeit noch einen Absacker getrunken hat. Und Hannes war genau für solche Frauen sehr offen. Leichtes Spiel für Erika. Sergej stachelt ihn dann auch immer noch an. „Marta, ich wor natürlich om Pääd! Ich han dat eesch gar nit metjekrägt. Der Hannes hät doch baal de ganze Veedel durch. Stell der ens vür, dä Basti hät doch sin Vatter glatt en der Kess erwischt! Dat hät mer all gester min Dochter bröhwärm verzallt.“ Martas Zigarette neigt sich dem Ende zu, riesige Verlegenheitszüge. Automatisch greift sie zu der Packung und nimmt sich eine neue und zündet diese am Stummel der aufgerauchten an.

„Sühs de Marta, ich han der doch tireck gesagt, dat dä blöd es. Ming Eskapaden, dat hät der Hannes jo nie spetz kräge, dä aale Schmecklecker. Diskretion!“ Hochdeutsch. Einige Augenblicke später ist er gefallen, der Groschen, bei Marta. Ihr Mund ist trocken, sie nimmt ihre Kölschstange in die Hand und schüttet sich den Rest des fast vollen Glases in den Schlund. Sie setzt das Glas ab und starrt Lörchen mit großen, nein riesigen, aufgerissenen Augen an. Lörchen verkennt die Situation zu ihren Gunsten und bestellt gleich noch mal beim Köbes „Jung, dun m´r noch zwei Kölsch un ene, ne, zwei Kabänes.“ Lörchen bemerkt erst jetzt Martas ungläubiges Gesicht. Sie beugt sich weit über den Holztisch zu der jungen Mutter rüber und sagt im perfekten Hochdeutsch:

„Das Zauberwort heißt Diskretion.“