Blog

Mindpacifique

Pfadfinderehrenwort

von | Apr 23, 2007 | Geschichten | 0 Kommentare

„Pfadfinderehrenwort“, lache ich.
Sergej grinst mich breit an und sieht wieder zum Anbeißen gut aus. Ich wische mir die Tränen aus den Augenwinkeln. Ach, heute kann ich ihm auch nichts abschlagen, bei diesem Wetter.
Strahlender Sonnenschein.
„War wohl nichts mit dem angekündigten Regen“, sage ich zu meinen Männern.
Während ich die Leckereinen aus dem Picknickkorb nehme, schnappt sich Sergej Lars, wischt ihm den grasverschmierten Mund sauber und nimmt ihn in seine riesigen Hände, wirft ihn mit seinen gestählten Armen hoch und fängt ihn sicher wieder auf.
Lars jauchzt und kräht und lacht über sein ganzes Gesicht. Lachtränen kullern über seine roten Bäckchen und das weißblonde Haar weht im Wind der Auf- und Abbewegungen. Verliebt beobachte ich die beiden noch einen Augenblick, dann lege ich die fertigen Croissants auf einen Plastikteller.
Da kommt Sergej auch schon zu mir zurück.
Er wirft Lars noch den bunten Ball zu und sitzt schon neben mir. Keuchend zündet er sich eine meiner Zigaretten an.
„Das war aber ein kurzes Vergnügen,“ ich schaue zu Lars, der etwas abseits von uns auf der Wiese sitzt und uns jetzt mit Verwunderung angafft. Der Ball, den er letzte Woche zu seinem zweiten Geburtstag bekommen hat, liegt zwischen seinen Knien. War´s das schon?, schien sein Blick zu sagen. Ich drehe mich um, ich weiß was jetzt kommt. Ein langgezogener und wütender Schrei von Lars und ein genervter Sergej: „Es ist jetzt gut, Lars!“
Im Hintergrund höre ich ein Donnergrummeln und verwundert schaue ich auf und sehe, wie sich der Himmel zuzieht. Ein kühler Wind kommt auf, ich setzte mich ein wenig um, damit der Rauch meiner Zigarette nicht hinüber zum Kleinen weht.
Sergej achtet mal wieder nicht darauf. Passivrauchen verursacht Krebs. Aber nicht bei Sergej. Er ist in einem Raucherhaushalt aufgewachsen. Das härtet ab, meint er, alles andere ist eh

Vorsehung. Schicksal. Daran kann man auch mit seinem Verhalten nichts ändern.
Der Wind nimmt zu, ich halte die Plastikteller fest, damit sie nicht quer über die Wiese fliegen, der Appetit ist mir mittlerweile auch vergangen.
„Sergej, ulubieniec*, ich wollte noch etwas mit dir besprechen.“ Sergej liebt Besprechungen. Besprechungen die er selbst anführt, ansonsten hört er kaum zu, aber ein Versuch ist es mir wert. „Ich muss zukünftig beruflich wieder viel flexibler sein. Dafür brauche ich aber deine Hilfe. Du wirst den Kleinen öfter von der Tagesmutter abholen müssen und darüber hinaus möchte ich, das du mehr Zeit mit Lars und auch mit mir verbringst. Im Gegenzug habe ich dir ja jetzt versprochen, das du dir einen Wunsch erfüllen darfst.“ Merkwürdig, Sergej hat mich kein einziges Mal unterbrochen. Normalerweise hätte er spätestens nach dem ersten Satz das Gespräch an sich gerissen. Lars haut mit seinem Schaufelchen auf sein Eimerchen, der Lärm geht im Rauschen der Bäume unter. Ich fröstele. Sergej grinst mich breit an, nimmt einen großen Schluck Champagner, also werde ich dann nach Hause zurück fahren, vielen Dank, und sagt: “Du, Süße, kein Problem. Ich habe mir schon so meine Gedanken gemacht. Sieh mal, so eine wollte ich schon immer haben“, er legt mir ein aufgeschlagenes Prospekt auf die Picknickdecke, eine brandneue Suzuki, weiß. Die Farbe täuscht über die massige und gefährliche Maschine hinweg. Mir fehlen die Worte. „Du hast doch gesagt, du möchtest mehr Zeit mit mir verbringen. Stell dir vor, im Sommer, abends auf der Maschine durch das Bergische düsen.“ Ich nicke apathisch.
Der Himmel über uns ist beinahe schwarz, da fallen sie schon, riesige Regentropfen, im Hintergrund ein ohrenbetäubender Donner. Lars schreit entsetzt auf und nun mischen sich Tränen und Regen. Sergej schaut verwirrt in den Himmel, reißt mir das Prospekt aus den Händen, wischt die Tropfen vorsichtig ab und legt es schützend in seine Tasche zurück.
„Stell dich nicht so an, mein Kleiner, das ist nur Regen,“ höre ich mich sagen und schaue an Sergejs wütende Augen vorbei und blicke auf Lars.
*polnisch= Liebling