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Mindpacifique

Der richtige Riecher

von | Mrz 9, 2008 | Geschichten | 0 Kommentare

Die junge Frau liegt zusammengekrümmt am Boden des Kühlraumes. Das dunkle Blut umschreibt einen Kreis um den toten Körper. Karsten Baur tritt näher. Die blonden Haare bedecken ihr Gesicht. Klein, zierlich und blond, genau wie die drei anderen Opfer. Er spürt die Verspannung im Nacken. Zu spät. Den Druck, der auf ihm lastet, merkt man ihm von außen nicht an. Tick, Tick, Tick. Heute ist Dienstag. Der Mörder wird wieder und wieder zuschlagen, bis sie ihn haben. Jedes Wochenende. Er ist scheinbar unsichtbar. Karsten hebt schnüffelnd seine Nase. Dieser penetrante Geruch nach Fäkalien. Bis auf das Blut ist in der Salatbar alles sauber. Der Geruch ist im Küchenbereich noch schlimmer. Suchend schaut er sich um. Da liegt er, ein kleiner Krümel. Er bückt sich und schnüffelt an der Luft. „Lars, schickst du das hier bitte ins Labor.“

Es riecht wie Hundescheiße. Nochmals schaut Karsten sich in der Küche der Salatbar um, geht an der Theke vorbei in den Gastraum. Dort sitzt der Bruder des Opfers an einem Tisch. Er fand seine Schwester am morgen. Beide haben erst im Frühjahr des Jahres die Salatbar eröffnet. Äußerlich bleibt er gefasst. Karsten Baur geht auf ihn zu. „Andreas, nicht wahr.“ – „Ja, Andreas Kalwen. Ich… Kann ich Ihnen behilflich sein?“ Karsten spürt die angelernte Beflissenheit in seinem Reden. Andreas sieht ihm in die Augen und springt mit einem Mal auf, entschuldigt sich und rennt aus dem Geschäft raus. Er kann die Trauer nun nicht mehr bremsen. Karsten schaut ihm nach. In seinem Inneren tobt ein Krieg. Keine Hinweise, hier nicht, nicht an den anderen Tatorten. Keine Fingerabdrücke, keine DNA, nichts. Nur diese Hundescheiße.

In diesem Augenblick fällt es ihm wieder ein. Dieser riesige Hundehaufen vor dem Buchladen hinten auf der Hauptverkaufsstraße. Gegenüber vom Juwelier.

Die Reste vom Haufen ergeben mittlerweile eine richtige Karte: Schuhabdrücke, Reifenspuren von Kinderwagen und Shoppern gefolgt von den verzweifelten Versuchen, den anhänglichen Dreck wieder loszuwerden.

Beim Juwelier wurde vor Weihnachten wieder eingebrochen. Seitdem hat er mehr Überwachungskameras als der Kölner Flughafen, ungefähr. Karsten lässt von dem Haufen vor dem Buchladen eine Probe nehmen und ins Labor schicken. Er muss den Mörder vor dem nächsten Wochenende stellen, sonst macht er weiter.

Alle drei Opfer waren am Samstag vor ihrem Tod im Rose Club gewesen. Ihre einzige Verbindung. Und alle drei sind Anfang zwanzig, klein, zierlich und blond. Die Zeugen, die an den Wochenenden ebenfalls Gäste in dem Club waren, konnten nichts hilfreiches angeben. Die Mädchen haben mit so vielen Typen geredet, sie sind alle in Begleitung ihrer Freunde gegangen und sicher bis zur Wohnung gebracht worden.

Karsten steht vor einem Problem.

Er geht zum Juweliergeschäft. Der Inhaber kennt ihn noch vom Winter und begrüßt ihn herzlich.

Ohne Probleme darf er die Bänder der Überwachungskameras überprüfen.

Karsten funktioniert nicht logisch oder mechanisch, er ist durch und durch intuitiv. Eigentlich vollkommen fehl am Platz bei der Polizei. Aber nachdem er vor einigen Jahren einen wirklich spektakulären Fall von Steuerhinterziehung aufgedeckt hat, genießt er zumindest soviel Respekt, das niemand seine merkwürdigen Anwandlungen in Frage stellt.

Der Juwelier hat mehrere Kameras am Eingang montiert. Eine filmt den rechten Bereich, die andere den linken und dann ist noch die Frontalkamera eingestellt, die genau den Bereich vor der Tür filmt. Man erkennt noch den gegenüberliegenden Gehweg, rechts der Buchladen, links ein Teil vom Sex-Shop. Karsten sucht die Bänder von Montag heraus. Gleich um 9:30 Uhr erwischt er den Übeltäter. Ein riesiger Hund macht einen riesigen Haufen mitten auf den Bürgersteig, sein Herrchen nimmt´s gelassen und geht weiter. Der Hund kann durch seine dicken Eier gar nicht richtig gehen. Karsten schüttelt sich angeekelt. Kurz nach zehn nimmt die Buchhändlerin ihren Schlüssel und holt die Poller aus ihren Verankerungen damit der LKW der Spedition davor parken kann und der Fahrer beginnt mit dem Ausladen Jetzt kann er den Haufen leider nicht mehr genau sehen, der LKW steht davor, aber, so wie es aussieht, weichen die meisten Passanten geschickt aus. Ach, da hat es den ersten erwischt. Die gekörnten Bilder der Kamera lassen einen älterer Herrn erkennen, er ist voll reingetreten und Karsten grinst. Na, der hatte seine Augen auch eher auf dem SexShop. Könnte ja sein, das just in diesem Augenblick die Tür aufgeht, jemand rauskommt und der alte Mann etwas sehen könnte.

Dann sieht er ihn und da ist es. Ein Gefühl, ein Ziepen im Gehirn, ein Rütteln, jedes Mal ist es anders, wenn es ihm widerfährt. Niemals eindeutig. Karsten wird nervös. Mit feuchten Händen wiederholt er die Szene mehrere Male und ein Adrenalinschub lässt sein rechtes Augenlid zucken. Er beobachtet den jungen Mann, der wütend und fluchend neben dem LKW stehen bleibt, sich an der Vorderseite des Gefährts abstützt und am nächsten noch stehenden Poller seinen Turnschuh abwischt. Er hat sich am LKW abgestützt, eindeutig. Karstens Herz rast, als er die Buchhändlerin nach dem Namen und der Telefonnummer der Spedition befragt. Die folgenden Routinearbeiten der Kollegen sind immer wieder ein Geduldsspiel für Karsten Baur. In diesem Fall müssen die Resultate noch vor dem Wochenende eingehen und geklärt werden. Donnerstags erhält Karsten endlich die Laborwerte. Die beiden Proben sind identisch. Der Krümel aus der Salatbar ist mit dem Haufen vor der Tür der Buchhandlung identisch.

Der LKW von Montag wurde von den Kollegen genauestens untersucht. Die Fingerabdrücke sind deutlich zu erkennen.

Seine Fingerabdrücke sind in der Datenbank hinterlegt. Er ist vorbestraft, nichts Spektakuläres.

Gunter Waltan gesteht sehr schnell und was Karsten sehr erschüttert: Er hat kein wirkliches Motiv. Die blöden Schlampen –und er benutze noch schrecklichere Wörter- hätten es nicht anders verdient.

Machtgehabe, weil sie nicht auf seine Avancen eingegangen sind, Frauenhass, was auch immer.

Die Ursache müssen jetzt die Psychiater erarbeiten. Seine Arbeit ist erledigt. Karstens Vorgesetzter gratuliert ihm, als er einige Akten vorbeibringt. „Glückwunsch, Herr Riecher, Quatsch, Herr Baur. Da hatten Sie wohl mal wieder den richtigen Riecher gehabt.“