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Mindpacifique

Möpse

von | Jul 30, 2007 | Geschichten | 0 Kommentare

Meine Ohren rauschen, mein Hals ist trocken und mein Herz trommelt gegen meine Brust.

Die Handy-Melodie dringt tief in mein Bewusstsein ein und weckt mich endgültig.

Bernd meldet sich verschlafen: „Jaa!??“.

Ich blicke mit tränenverschmierten Augen auf das Display des Videorekorders. 09:05 Uhr. Sonntag. Der einzige Tag zum Ausschlafen. Keine unvorstellbar laute Baustelle, die jeden morgen, montags bis samstags punkt sieben Uhr ihr „Geschäft“ aufnimmt.

Der heilige Sonntag, der Lange-Schlafen und gemütlich Frühstücken Sonntag.

09:05 Uhr.

„Warte mal, was hast du denn für ein Problem?“ Bernd klingt gereizt. „Der Zugang zum Internet? Seit wann?…eben, ach, und Rüdiger hat… stopp, erkläre es mir bitte langsam und in Ruhe.“

Das Problem begann genau gesagt vor drei Jahren. Meine Schwiegermutter ging in Rente. Und sie war sehr glücklich. Endlich alles machen, was sie sich all die Jahre vorgenommen hat. Malen, golfen, reisen und das Leben genießen. Und einen Super-Computer. Um die ganzen Fotos zu katalogisieren. So wie Rüdiger, ihr Schwager.

„Schaut nur, was der für eine tolle CD mitgebracht hat von der Hochzeit seiner Tochter.“ Stolz legt sie die Scheibe in den

DVD Player und wir sehen schöne Fotos von einer Hochzeitsgesellschaft, musikalisch unterlegt mit Elton John, und die Fotos laufen nacheinander mit unterschiedlichen Animationen durch das Bild. Toll! „Und genau das möchte ich auch machen. Und meine ganzen alten Fotos von Ralf und mir aus den letzten Urlauben so bearbeiten.“

Danach begann ein ausgedehntes Frage-Antwort-Spiel zwischen Bernd, den Frager und seiner Mutter, die ihr Politiker- Gen entdeckt haben muss. Ihre Antworten klangen sehr ausweichend und trafen eigentlich nie die gestellte Frage:

„Wofür genau? …Welche Arbeiten noch? …Die Unterlagen eurer Immobilien bearbeiten? Dafür braucht ihr nur ein einfaches Word und Excel Programm.“

Endlose Gespräche zwischen Mutter und Sohn folgten.

Ralf und ich sahen uns öfters genervt und gelangweilt an. Meist verabschiedete er sich am Nachmittag, um im Fußball-Club der jungen Mannschaft beizustehen. Ich versuchte, meine Aufmerksamkeit auf die beiden zu lenken. Aber irgendwo zwischen Festplatten und Bildschirmen verließ sie mich „Überlege doch,“ sagte Bernd eindringlich „in spätestens einem Jahr bekommst du Notebooks nachgeworfen und dann brauchst du nicht so ein dickes Teil auf deinem Schreibtisch, und ein 19 Zoll Monitor ist das mindeste.“ – „Schon, Schätzchen, aber ich möchte jetzt einen Computer und nicht in einem Jahr.“

Dann stand er auf ihrem Schreibtisch. Groß, massiv und beeindruckend. Der neue PC, großer Bildschirm, Scanner, für die zu bearbeitenden alten Fotos und ein Drucker.

Ralf behielt sein altes Möhrchen. Bis vor einem halben Jahr. Da ging es einfach so kaputt. Sein Interesse an einem eigenen PC war nicht so groß. Er spielt ausschließlich Solitaire zum Einschlafen, dafür wäre ein neuer Computer dann doch zu teuer. Also hat er die Erlaubnis, mit seinem eigenen Passwort den Computer seiner Frau mitzubenutzen.

Nach der elementaren Anschaffung folgten wöchentliche Hilferufe: „Also, Bernd-Schätzchen, der Computer spinnt schon wieder. Ihr müsst am Wochenende vorbeikommen.“ Unsere Besuche arteten in Computer- Wiederbelebungsmaßnahmen aus, seitens Bernd. Meist saß ich entspannt im Garten und genoss die Ruhe und las in meinen jeweiligen aktuellen Büchern, während Ralf die Jungs im Fußball- Club anfeuerte und meist mit ca. 3 Promille zurückkam.

Es folgte das Abendessen, dann zwei Flaschen Wein aus dem üppigen Weinkeller, mehr oder weniger auf Ex und meistens fällt Ralf so gegen neun Uhr abends ins Bett. Vorher erzählt er auch gerne aus seinem Berufsleben als Versicherungsmakler:

„Vor einigen Jahren rief mich eine Dame an und sagte zu mir: Lieber Herr Schmied, wissen Sie, meinem verstorbenen Mann war seine Lebensversicherung sehr, sehr wichtig und ich habe immer versucht, die Summe monatlich zu bezahlen. Aber jetzt kann ich nicht mehr, die Abzahlungen für das Haus und die Versicherung, ich kann nicht mehr zahlen. Wissen Sie, so viel Rente bekomme ich gar nicht. Wäre es denn möglich, diese zu kündigen.“ Wir rissen unsere Augen auf und waren entsetzt. Ralf lachte: „Für die Dame muss das ein Sechser im Lotto gewesen sein. Ihr Haus war nach der Auszahlung der Versicherung abgezahlt und sie konnte noch ein wunderbares Leben führen. Ich habe gehört, sie ist noch einige Jahre durch die Welt gereist. Ja, so kann es gehen.“

Besonders aufregend waren auch die Besuche pünktlich zum Spargelessen mittags um 12:30 Uhr. Der „Anschiss“, weil wir zehn Minuten zu spät eingetroffen waren, trotz langer Autofahrt auf unberechenbaren Autobahnen die Pünktlichkeit eigentlich von vornherein ausschlossen, hielt noch einige Tage an.

Und mein Schreckdurchfall.

Der finanzielle Bonus am Ende eines jeden Besuches bügelte den Stress ein wenig glatt.

Die Gründe für die regelmäßigen PC-Abstürze lagen auf der Hand. In einem Wort: Rüdiger! Neue Programme, noch und nöcher, gekauft, gebrannt, egal, legal, hauptsache man kann gelbe Smileys mit einer Email verschicken. Bildbearbeitungsprogramme ohne Ende, bis heute haben wir noch keine einzige CD gesehen, auf der Fotos zusammengesetzt sind. Keine!

Bernd zählte vier Bildbearbeitungsprogramme in den Hochzeiten.

Scheinbar bemerkte meine Schwiegermutter irgendwann, das Rüdiger besser die Finger davon lässt, denn nach den Rüdiger- Attacken hatte sie immer Probleme.

Lange Monologe seitens Bernd waren überflüssig. Im wahrsten Sinne des Wortes wurden die Inhalte im Laufe des jeweiligen Abends mit einer mittelmäßigen Flasche Weißwein oder Rosé runtergespült. Einige Themen besprechen sie regelmäßig, jedes Mal erfolglos. Seit ca. einem halben Jahr spinnt der PC wieder extrem. Meine Schwiegereltern waren in Urlaub. Wir kümmerten uns ausgiebig um den Garten und um den irren PC. Bernd räumte ihn ordentlich auf. Ich saß unten im Garten und goss den Garten im Kapitelrhythmus, das heißt, ich las ein Kapitel meines Buches und legte dann den Schlauch an die nächste größere Pflanze. So gefällt auch mir Gartenarbeit. „Karla, kommst du bitte mal zu mir.“ Ich atmete tief ein und aus, legte das Buch zur Seite und ging zu Bernd auf die erste Etage ins Büro. Er entdeckte etwas schreckliches auf der Festplatte. „Guck mal, jetzt weiß ich auch was da für Probleme sorgt. Damit wurden einige fiese Sachen auf den Computer geholt.“ Mir fielen fast die Augen aus dem Kopf. Nackedeis, ohne Ende, beide Sorten und viele Positionen. Unfassbare Fotos von merkwürdigen Körperteilen. Nicht nur ein paar Fotos. Ohne Ende. Wir schauen uns entsetzt an. „Ralf“, entgleitet es uns gleichzeitig. „Jetzt werde ich immer, wenn ich ihn sehe, daran denken müssen. Bernd, sag davon bitte nichts. Hau es runter.“ Bernd schaute nachdenklich auf den Computer. „Natürlich sage ich nichts, aber mir steht es echt bis zur Oberkante. Ich baue jetzt eine Kindersicherung ein. Dann haben wir endlich Ruhe.“ Gesagt, getan. In der Hoffnung, das es Ralf zu peinlich ist, sein Hildchen darauf anzusprechen, das er auf die speziellen Seiten nicht mehr kommt, installierte Bernd eine Kindersicherung.

Das war letzten Samstag.

Am Donnerstag sind die beiden aus ihrem zehnten Urlaub in diesem Jahr zurückgekommen.

Jetzt ist Sonntag.

„Auf welche Seite versuchst du denn…, …nein der PC funktionierte einwandfrei als wir letzte Woche da waren. Wir hatten keine Probleme. Der lief super. Wer hat denn jetzt Probleme? Bist du das oder Ralf? Ach so, du hast die Probleme, Ralf hat lange nicht mehr am PC gearbeitet. Also, du hast noch für den Fahrradurlaub im Herbst auf Lanzarote recherchiert und jetzt, kein Zugang auf die von dir gewünschten Seiten. Hmm, ja dann sollten wir uns vielleicht mal unterhalten.“ Bernd und ich schauen uns entsetzt an und lachen uns kaputt. Damit ist wenigstens Ralf von den üblichen Verdächtigen befreit worden.