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Mindpacifique

Nowhere Man

von | Sep 3, 2007 | Geschichten | 0 Kommentare

Monoton schlägt Bernd mit dem kleinen Plastiklineal auf seine Stirn. Man nennt das wohl einen Blackout, seit drei Wochen. Seine Kurzgeschichte soll in spätestens vier Tagen auf dem Schreibtisch der Redaktion liegen und… Nichts! Gähnende Leere.

Verzweifelt schaut er auf den Fernseher. Eine Beatles-Dokumentation. Bernd erfährt von der sonoren Stimme des Sprechers, dass John Lennon während seiner Karriere einen Blackout hatte. Man erzählt sich, dass er an diesem Tag das Lied Nowhere Man schrieb.

Bernd tröstet das herzlich wenig. Wenigstens konnte der seine Miete bezahlen.

Dieses Gefühl der fehlenden Inspiration verspürt Bernd häufiger, als ihm lieb ist. Die Stimme erklingt:

He’s a real nowhere Man, Sitting in his Nowhere Land,
Making all his nowhere plans for nobody…

Die unpassende Melodie seines Handys reißt ihn aus seinen Gedanken. „Jaa!? … Was hast du denn mit der Firewall gemacht? … Gar nicht mehr, kein Zugang? … Also, ich weiß ehrlich nicht, was ihr immer mit eurem Computer anstellt. … Ja klar, wir fahren gleich los. Sind inner Stunde da.“

Eltern und Computer! Bernd fährt seinen Laptop runter, froh, dieser Situation entfliehen zu können.

Eineinhalb Stunden und 42 Kilometer später.

Ankunft im Haus seiner Eltern.

Ein alleinstehendes Einfamilienhaus am Rande Düsseldorfs. Umrundet wird die ausgefallene architektonische Schönheit von einem einladenden und gepflegten Garten.

Karl-Heinz sein Steckenpferd.

Bernds Vater erwarb das riesige Grundstück Ende der fünfziger Jahre eher zufällig. Er stand eines Morgens beim Bäcker und verfolgte ungewollt ein Gespräch zwischen der Bäckersfrau und einer älteren Kundin. Diese klagte während des Brötchenkaufs mit belegter Stimme ihr Leid: „Die Bank gibt mir kein Geld. Drei Mal habe ich jetzt schon vorgesprochen .“ Die Bäckersfrau antwortete, sichtlich erschüttert: „Aber, sie haben doch das große Grundstück nebenan, reicht das nicht als Sicherheit. Sie müssen ihr Dach noch vor dem Winter reparieren lassen. So teuer kann das doch nicht sein.“ – „Der Kostenvoranschlag liegt bei achttausend Mark. Ach, ein Elend ist das, Frau Beys, schönen Tag noch.“ Mit hängenden Schultern verließ die Dame das Geschäft. Karl-Heinz wurde neugierig. Er kaufte seine Brötchen und fragte die nette Bäckersfrau nach dem Namen und der Adresse der Kundin, er interessiere sich brennend für das Grundstück. Bereitwillig erteilte sie die Auskünfte und wünschte dem jungen Mann viel Glück. Noch am selben Tag besichtigte er das Grundstück und war begeistert. Er klingelte bei der Dame und stellte sich vor: „Guten Tag, mein Name ist Karl-Heinz Kampmann und ich hörte heute beim Bäcker zufällig, in welcher Misere sie stecken. Ihr Grundstück nebenan machte mich neugierig, so schaute ich eben vorbei und bin überzeugt, hier mit meiner zukünftigen Familie glücklich zu werden. Ich möchte es ihnen abkaufen, für 12000 Mark, in bar. Schon morgen sind sie ihre Sorgen los und können ihr Dach reparieren.“ Überzeugen, das konnte er schon immer gut. Natürlich willigte die Dame ein. Er beauftragte einen Notar, der ihm nach Vertragsabschluß gratulierte und mehrmals versicherte, das dies Grundstück auch sein Eigen sei. Eine Woche später rief die Dame verzweifelt an und wollte den Kaufvertrag wieder rückgängig machen. Die von der Bank hätten ihr gesagt, das Grundstück sei ein Vielfaches wert. Aber Karl-Heinz blieb glücklicherweise standhaft. Kurz darauf lernte er Hillu kennen und Bernd erblickte das Licht der Welt. Karl-Heinz besann sich seiner Talente und wurde Versicherungsmakler, ein sehr erfolgreicher. Einem in Not geratenen Klienten, Bauunternehmer Meuser,

besorgte er nach langen Vermittlungsgesprächen einen Kredit, der diesem die Existenz sicherte. „Jung, wenn du mal baust, sach mir bescheid. Ich bau dir `nen Palast, so wie du dat willst.“ Das Angebot kam zur richtigen Zeit. Karl-Heinz ließ auf das Grundstück das passende Haus bauen.

Nur eines bleibt bis heute ungeklärt: Woher bekam Karl-Heinz damals, mit Anfang zwanzig das Geld, um das Grundstück zu kaufen und bar zu bezahlen? Seine Eltern verloren während des Krieges alles und sie besaßen schon vorher nicht sehr viel. Woher?

Fröhlich begrüßt Hillu ihren Sohn Bernd und seine Verlobte Karla. Sie setzten sich an den gedeckten Kaffeetisch. Der Wintergarten strahlt eine meditative Ruhe aus. „Ja, was für eine schöne Überraschung, Hillu, davon hast du mir ja gar nichts gesagt.“ Überrascht betritt Karl-Heinz den Wintergarten. „Ich komme gerade vom Fußballclub und da unsere Junioren mit sieben Toren gewonnen haben, wurde natürlich noch etwas gefeiert. Oh, wie lecker, Kaffee und Kuchen, frisch aufgetaut, Schätzchen, eine tolle Idee.“

Er nimmt Hillus Gesicht in seine Hände und gibt ihr einen Schmatzer auf den Mund. Hillu lacht verlegen, wie ein Teenager, der von seinem Freund vor den Augen der Eltern geküsst wird. Karl-Heinz hält ein altes Butzenfenster in die Höhe. „Schaut mal, das habe ich eben am Straßenrand gefunden. Das muss nur abgeschliffen und gestrichen werden, dann sieht es wieder aus wie neu. Das baue ich dann in meine Gartenlaube ein.“ Verzückt stellt er das kleine Fenster in den Durchgang zum Garten und setzt sich an den Tisch. Er schlürft in bester Laune genüsslich seinen Kaffee. „Ach, es ist herrlich hier. Ich hatte aber auch ein Glück. Wisst ihr, mit neunzehn, als ich von der Schule kam, wollte ich erst einmal Geld verdienen, um mein Studium finanzieren zu können. Also arbeitete ich an einer Tankstelle, nachts, da gab es mehr Geld. Daneben stand ein Hotel. Hinten, am Verteiler, Richtung Köln. Ja, da habe ich richtig gutes Geld verdient.“ Er lacht lauthals und zündet sich eine Zigarre an.

„Eines Nachts,“ er beugt sie leicht über den Tisch und senkt die Stimme, „hielt eine riesige schwarze Limousine an der Tanksäule, ich tankte für, weiß nicht mehr, lass es mal fünfundzwanzig Mark gewesen sein. Und da drückt mir der Mann, der hinten in der Limou saß, ´nen Lübecker in die Hand und sagte: Ist gut so. Ich stand vor ihm mit fünfzig Mark in der Hand und die Hälfte sollte mir gehören und dachte, mich tritt ein Pferd. Sein Name war Johnny und, glaubt mir, er sah auch so aus. Wie Johnny Weissmüller. Er sagte, ich solle ihn am nächsten Abend in „Johnnys Nachtclub“ in der Düsseldorfer Altstadt besuchen. Da gibt es noch mehr von solchen Scheinen. Da stand ich am nächsten Abend, frisch gestriegelt und poliert, vor „Johnnys Nachtclub“ und klingelte. Es öffnete sich ein Fenster in der schweren Eisentür und zwei stechende blaue Augen fragten mich, was ich hier wolle. Ich sagte, mein Name ist Kalle und ich hätte eine Verabredung mit Johnny und kurz darauf saß ich in Johnnys Büro. Fünf Mark, für jeden Kunden, den ich von der Tankstelle postwendend in seinen Nachtclub schicke. Für meine damaligen Verhältnisse war ich innerhalb kürzester Zeit stinkreich. “ Karl-Heinz, versunken in Erinnerungen, streicht sich über den kahlen Kopf.

Alle drei sitzen mucksmäuschenstill am Tisch, sie wagen es noch nicht einmal die Kaffeetasse an den Mund zu heben, aus Angst, Karl-Heinz könne es sich noch einmal anders überlegen und mittendrin stoppen. „Ich bemerkte, das einige Männer das Angebot aus unterschiedlichen Gründen ausschlugen. Hmm, also, nebenan war ein Hotel und dann habe ich mit Johnny gesprochen und der fand das eine dufte Idee. Also, abends schickte Johnny immer zwei Mädchen vorbei, ich mietete zwei

Zimmer im Hotel an und konnte mehrmals während der Nacht abkassieren. Johnny bekam eine Provision. Und natürlich schickte ich immer noch potentielle Kunden in die Stadt, mittlerweile bekam ich zehn Mark.“ Gedankenverloren schmunzelt er: „ Ja, so war das damals. Heute ginge das gar nicht mehr…“

Bernd sieht seinen Vater an, fassungslos. Das Grundstück wurde von Zuhältergeldern bezahlt.

Sechs Stunden, ein wieder funktionstüchtiger PC, ein Abendbrot und 45 Kilometer später (Parkplatz in der Innenstadt gesucht).

Bernd sitzt vor seinem Computerbildschirm und tippt: „Nowhere Man

Karlos zählt die Einnahmen der vergangenen zwei Tage. Ein Geräusch lässt ihn aufblicken. Durch das kleine Butzenfenster sieht er einen weißen Rolls-Royce in die Einfahrt der Tankstelle gleiten. Kundschaft.

Karlos steht auf, nimmt den Zimmerschlüssel Nummer sieben vom Haken und geht auf den Rolls-Royce zu, die Tür öffnet sich und – John Lennon steht vor ihm.

-Hi, John, alter Freund, wie geht es dir?

-Ach, ich fühle mich so leer, ich weiß nicht, was ich schreiben soll!

Karlos, ich brauche Inspirationen…